Stark bleiben
22. Tag, Montenegro: Im „Namaste“ treffe ich Camilla. Sie kümmert sich darum, dass hier alles sauber ist. Die Betten sind gemacht. Die Küche ist stets aufgeräumt. Vor zwei Wochen ist sie hier angekommen. Sie tippt auf ihrem Handy, dreht es und hält mir das Display hin: „Sie haben mir einfach meinen Pass und meine Reisetasche weg genommen“, hat Google übersetzt. Weg genommen? Wer? Sie erzählt mir ihre Geschichte.
Camilla kommt aus Ecuador. Sie ist Mutter von drei Kindern, zeigt mir ihr Foto. Zärtlich streicht sie über das Display. Sie hat sie monatelang nicht gesehen. In ihrer Heimat gibt es keine Arbeit. Doch in Italien hat sie Verwandte. Deswegen hat sie den Entschluss gefasst, mit ihrem Bruder nach Europa zu reisen, um hier zu arbeiten, um ihren Kindern eine Zukunft zu ermöglichen.
Sie reiste nach Kolumbien. Von dort aus flog sie in die Türkei. Für Ecuadorianer ist es nicht einfach ein Visum zu bekommen. Deswegen der Umweg. Doch in der Türkei haben die Behörden ihr fast alles genommen: Pass, Gepäck. Einfach so.
“Sie haben mir nie gesagt, warum“, schreibt sie. Ihren Bruder haben sie durch gelassen. Doch sie musste sechs Monate in der Türkei bleiben, um auf neue Papiere zu warten. Sie arbeitete, bis sie schließlich mit neuen Papieren nach Montenegro ausreisen konnte. Das war vor zwei Wochen. Hier im „Namaste“ kann sie arbeiten.
Ihr Ziel: Italien. „Sobald ich kann, werde ich weiter reisen“, schreibt sie. Täglich telefoniert sie über das Internet mit ihrer Familie in Ecuador. Ihre Kinder will sie so bald wie möglich wiedersehen: „Ich bleibe stark“, sagt sie.
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